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tausendfachen Gestalten; und die Menschen dann sich in
Häuslein zusammen sichern und sich annisten und herrschen in
ihrem Sinne über die weite Welt! Armer Tor! der du alles so
gering achtest, weil du so klein bist. Vom unzugänglichen
Gebirge über die Einöde, die kein Fuß betrat, bis ans Ende des
unbekannten Ozeans weht der Geist des Ewigschaffenden und
freut sich jedes Staubes, der ihn vernimmt und lebt. Ach
damals, wie oft habe ich mich mit Fittichen eines Kranichs, der
über mich hin flog, zu dem Ufer des ungemessenen Meeres
gesehnt, aus dem schäumenden Becher des Unendlichen jene
schwellende Lebenswonne zu trinken und nur einen Augenblick
in der eingeschränkten Kraft meines Busens einen Tropfen der
Seligkeit des Wesens zu fühlen, das alles in sich und durch sich
hervorbringt.
Bruder, nur die Erinnerung jener Stunden macht mir wohl.
Selbst diese Anstrengung, jene unsäglichen Gefühle
zurückzurufen, wieder auszusprechen, hebt meine Seele über
sich selbst und läßt mich dann das Bange des Zustandes doppelt
empfinden, der mich jetzt umgibt.
Es hat sich vor meiner Seele wie ein Vorhang weggezogen,
und der Schauplatz des unendlichen Lebens verwandelt sich vor
mir in den Abgrund des ewig offenen Grabes. Kannst du sagen:
Das ist! da alles vorübergeht? da alles mit der Wetterschnelle
vorüberrollt, so selten die ganze Kraft seines Daseins ausdauert,
ach, in den Strom fortgerissen, untergetaucht und an Felsen
zerschmettert wird? Da ist kein Augenblick, der nicht dich
verzehrte und die Deinigen um dich her, kein Augenblick, da du
nicht ein Zerstörer bist, sein mußt; der harmloseste Spaziergang
kostet tausend armen Würmchen das Leben, es zerrüttet ein
Fußtritt die mühseligen Gebäude der Ameisen und stampft eine
kleine Welt in ein schmähliches Grab. Ha! nicht die große, seltne
Not der Welt, diese Fluten, die eure Dörfer wegspülen, diese
Erdbeben, die eure Städte verschlingen, rühren mich; mir
untergräbt das Herz die verzehrende Kraft, die in dem All der
Natur verborgen liegt; die nichts gebildet hat, das nicht seinen
Nachbar, nicht sich selbst zerstörte. Und so taumle ich
beängstigt. Himmel und Erde und ihre webenden Kräfte um mich
her: ich sehe nichts als ein ewig verschlingendes, ewig
wiederkäuendes Ungeheuer.
Am 21. August.
Umsonst strecke ich meine Arme nach ihr aus, morgens, wenn
ich von schweren Träumen aufdämmere, vergebens suche ich
sie nachts in meinem Bette, wenn mich ein glücklicher,
unschuldiger Traum getäuscht hat, als säß' ich neben ihr auf der
Wiese und hielt' ihre Hand und deckte sie mit tausend Küssen.
Ach, wenn ich dann noch halb im Taumel des Schlafes nach ihr
tappe und drüber mich ermuntere ein Strom von Tränen bricht
aus meinem gepreßten Herzen, und ich weine trostlos einer
finstern Zukunft entgegen.
Am 22. August.
Es ist ein Unglück, Wilhelm, meine tätigen Kräfte sind zu einer
unruhigen Lässigkeit verstimmt, ich kann nicht müßig sein und
kann doch auch nichts tun. Ich habe keine Vorstellungskraft,
kein Gefühl an der Natur, und die Bücher ekeln mich an. Wenn
wir uns selbst fehlen, fehlt uns doch alles. Ich schwöre dir,
manchmal wünschte ich, ein Tagelöhner zu sein, um nur des
Morgens beim Erwachen eine Aussicht auf den künftigen Tag,
einen Drang, eine Hoffnung zu haben. Oft beneide ich Alberten,
den ich über die Ohren in Akten begraben sehe, und bilde mir
ein, mir wäre wohl, wenn ich an seiner Stelle wäre! Schon
etlichemal ist mir's so aufgefahren, ich wollte dir schreiben und
dem Minister, um die Stelle bei der Gesandtschaft anzuhalten,
die, wie du versicherst, mir nicht versagt werden würde. Ich
glaube es selbst. Der Minister liebt mich seit langer Zeit, hatte
lange mir angelegen, ich sollte mich irgendeinem Geschäfte
widmen; und eine Stunde ist mir's auch wohl drum zu tun.
Hernach, wenn ich wieder dran denke und mir die Fabel vom
Pferde einfällt, das, seiner Freiheit ungeduldig, sich Sattel und
Zeug auflegen läßt und zuschanden geritten wird ich weiß
nicht, was ich soll. Und, mein Lieber! ist nicht vielleicht das
Sehnen in mir nach Veränderung des Zustands eine innere,
unbehagliche Ungeduld, die mich überallhin verfolgen wird?
Am 28. August.
Es ist wahr, wenn meine Krankheit zu heilen wäre, so würden
diese Menschen es tun. Heute ist mein Geburtstag, und in aller
Frühe empfange ich ein Päckchen von Alberten. Mir fällt beim
Eröffnen sogleich eine der blaßroten Schleifen in die Augen, die
Lotte vor hatte, als ich sie kennen lernte, und um die ich sie
seither etlichemal gebeten hatte. Es waren zwei Büchelchen in
Duodez dabei, der kleine Wetsteinische Homer, eine Ausgabe,
nach der ich so oft verlangt, um mich auf dem Spaziergange mit
dem Ernestischen nicht zu schleppen. Sieh! so kommen sie
meinen Wünschen zuvor, so suchen sie alle die kleinen
Gefälligkeiten der Freundschaft auf, die tausendmal werter sind
als jene blendenden Geschenke, wodurch uns die Eitelkeit des
Gebers erniedrigt. Ich küsse diese Schleife tausendmal, und mit
jedem Atemzuge schlürfe ich die Erinnerung jener Seligkeiten
ein, mit denen mich jene wenigen, glücklichen,
unwiederbringlichen Tage überfüllten. Wilhelm, es ist so, und ich
murre nicht, die Blüten des Lebens sind nur Erscheinungen! Wie
viele gehn vorüber, ohne eine Spur hinter sich zu lassen, wie
wenige setzen Frucht an, und wie wenige dieser Früchte werden
reif! Und doch sind deren noch genug da; und doch O mein
Bruder! können wir gereifte Früchte vernachlässigen,
verachten, ungenossen verfaulen lassen?
Lebe wohl! Es ist ein herrlicher Sommer; ich sitze oft auf den
Obstbäumen in Lottens Baumstück mit dem Obstbrecher, der
langen Stange, und hole die Birnen aus dem Gipfel. Sie steht
unten und nimmt sie ab, wenn ich sie ihr herunterlasse.
Am 30. August.
Unglücklicher! Bist du nicht ein Tor? Betriegst du dich nicht
selbst? Was soll diese tobende, endlose Leidenschaft? Ich habe
kein Gebet mehr als an sie; meiner Einbildungskraft erscheint
keine andere Gestalt als die ihrige, und alles in der Welt um mich
her sehe ich nur im Verhältnisse mit ihr. Und das macht mir
denn so manche glückliche Stunde bis ich mich wieder von ihr
losreißen muß! Ach Wilhelm! wozu mich mein Herz oft drängt!
Wenn ich bei ihr gesessen bin, zwei, drei Stunden, und mich an
ihrer Gestalt, an ihrem Betragen, an dem himmlischen Ausdruck
ihrer Worte geweidet habe, und nun nach und nach alle meine
Sinne aufgespannt werden, mir es düster vor den Augen wird,
ich kaum noch höre, und es mich an die Gurgel faßt wie ein
Meuchelmörder, dann mein Herz in wilden Schlägen den
bedrängten Sinnen Luft zu machen sucht und ihre Verwirrung
nur vermehrt Wilhelm, ich weiß oft nicht, ob ich auf der Welt
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