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Der Blick war wundervoll, und die Toten hatten ohnehin nichts
davon.
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»Irgendwann würde ich gern mit Ihnen über den Friedhof
reden«, sagte er zum Priester. »Ich könnte Ihnen im Tausch
gegen diesen Friedhof neben der Kirche einen viel größeren
Platz für die Toten ganz in der Nähe anbieten.«
»Niemand wird das Land kaufen wollen, um da zu bauen, wo
früher die Toten gewohnt haben.«
»Vielleicht niemand von hier. Aber die Touristen, die sind ganz
verrückt nach Sommerhäusern. Man muß nur die Hiesigen
bitten, nichts darüber zu sagen. Das brächte mehr Geld für die
Stadt und mehr Steuern für das Bürgermeisteramt.«
»Sie haben recht. Man muß sie nur bitten, nichts zu sagen. Das
wird nicht schwierig sein.«
Und plötzlich herrschte Stille. Eine lastende Stille, die niemand
zu brechen wagte. Die beiden Frauen schauten zum Fenster
hinaus, der Priester polierte eine kleine Bronzeskulptur, der
Ländereienbesitzer schenkte sich noch einen Schluck Wein
nach, der Schmied spielte mit den Schnürsenkeln seiner Stiefel.
Und der Bürgermeister sah andauernd auf die Uhr, als hätte er
noch weitere Termine.
Keiner rührte sich. Sie wußten genau, daß in Bescos alle wie
ein Mann geschwiegen hätten, wenn sich ein Interessent für
das Grundstück gefunden hätte, auf dem jetzt der Friedhof lag.
Allein schon um sich daran zu weiden, daß ein anderer
versuchte, in dem vom Aussterben bedrohten Kaff zu
überleben. Und keiner hätte sich für sein Stillschweigen
bezahlen lassen.
Stellt euch vor, ihr würdet es bekommen.
Stellt euch vor, ihr würdet soviel Geld bekommen, daß es bis an
euer Lebensende reichen würde.
Stellt euch vor, ihr würdet soviel Geld bekommen, daß es bis an
euer Lebensende und das Lebensende eurer Kinder reichen
würde.
In genau diesem Augenblick wehte ein unerwarteter Windstoß
durch die Sakristei.
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»Was schlagt ihr nun vor?« fragte der Priester nach fünf langen
Minuten.
Alle wandten sich ihm zu.
»Wenn die Bewohner wirklich nichts sagen würden, denke ich,
könnten wir die Verhandlungen weiter vorantreiben«,
antwortete der Besitzer der Ländereien, der seine Worte
sorgfältig wählte, damit er nicht falsch, bzw. damit er richtig
verstanden wurde. »Es sind brave, arbeitsame, zurückhaltende
Leute«, fuhr die Hotelbesitzerin ebenso doppeldeutig fort.
»Heute noch, als der junge Bäckergeselle wissen wollte, was
bei uns los ist, hat keiner was gesagt. Ich glaube, wir können
ihnen vertrauen.«
Wieder herrschte Schweigen. Nur diesmal war es bedrückend,
nicht mehr zu überspielen. Dennoch ging das Spiel weiter, und
der Schmied ergriff das Wort:
»Das Problem ist nicht die Verschwiegenheit der Bewohner,
sondern die Tatsache, daß es unmoralisch, inakzeptabel ist,
dies zu tun.«
»Was zu tun?«
»Geheiligtes Land zu verkaufen.«
Ein erleichtertes Seufzen ging durch den Saal. Jetzt konnten
sie die Frage der Moral angehen, da die praktische Seite weit
gediehen war.
»Unmoralisch ist es, zuzuschauen, wie Bescos verfällt«, sagte
die Bürgermeistersfrau. »Bewußt mit anzusehen, daß wir die
letzten sind, die hier leben, und daß der Traum unserer
Großeltern, unserer Vorfahren, Ahabs, der Kelten, in ein paar
Jahren ausgeträumt sein wird. In Kürze werden auch wir den
Ort verlassen: Die einen gehen ins Altersheim, die anderen
wandern in die großen Städte ab und klammern sich dort an
ihre Kinder, weil sie sich am neuen Ort nicht eingewöhnen
können und Heimweh haben nach Bescos, das sie der
nachfolgenden Generation nicht so weitergeben konnten, wie
sie es von der Elterngeneration übernommen haben.«
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»Sie haben recht«, fuhr der Schmied fort. »Das Leben, das wir
führen, ist unmoralisch. Denn wenn Bescos so weitermacht,
liegen diese Felder von einem Tag auf den anderen brach oder
werden für einen Apfel und ein Ei verkauft: Maschinen werden
kommen, bessere Straßen werden gebaut werden. Die Häuser
werden abgerissen, Metallkonstruktionen werden an die Stelle
der Steinbauten treten, die unsere Vorfahren einstmals
mühsam aufgeschichtet haben. Die Felder werden mit
Maschinen bestellt, die Landarbeiter kommen tagsüber und
kehren abends in ihre weit abgelegenen Behausungen zurück.
Es ist eine Schande für unsere Generation. Wir haben unsere
Kinder nicht halten können und mußten sie in die großen Städte
ziehen lassen.«
»Wir müssen unser Bescos wie auch immer erhalten«, sagte
der Ländereienbesitzer, der vielleicht als einziger vom
Niedergang des Dorfes profitierte, da er alles aufkaufen und
anschließend an irgendeine Großindustrie weiterverkaufen
konnte. Aber er war nicht daran interessiert, Land billig zu
verkaufen, in dem vielleicht ein Vermögen vergraben lag.
»Möchten Sie etwas dazu sagen, Pater?« fragte die Wirtin.
»Das einzige, was ich gut kenne, ist meine Religion, wo das
Opfer eines einzigen Menschen die ganze Menschheit gerettet
hat.«
Schweigen senkte sich ein drittes Mal über sie, aber nur kurz.
»Ich muß mich jetzt für die Samstagsmesse vorbereiten«, fuhr
er fort. »Wollen wir uns heute abend wieder treffen?«
Alle waren sofort einverstanden und hatten es, nachdem sie
eine Uhrzeit ausgemacht hatten, plötzlich sehr eilig
wegzukommen.
Nur der Bürgermeister ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Was Sie da eben gesagt haben, ergäbe ein ausgezeichnetes
Thema für eine Predigt. Ich glaube, wir sollten heute alle zur
Messe gehen.«
Chantal zögerte nicht mehr. Sie ging geradewegs zu dem y-
förmigen Stein und überlegte, was sie tun würde, sobald sie
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das Gold in Händen hatte. Nach Hause gehen, das dort
verwahrte Geld nehmen, festere Schuhe anziehen, die Straße
hinunter ins Tal gehen, einen Wagen anhalten, der sie
mitnehmen würde. Keine Wette. Diese Leute verdienten das
Vermögen nicht, das sie in Reichweite hatten. Keine Koffer: Sie
wollte nicht, daß sie merkten, wie sie Bescos mit seinen
schönen, aber nutzlosen Geschichten, seinen feigen,
freundlichen Bewohnern, seiner Bar, die immer voll von Leuten
war, die stets über das gleiche redeten, seiner Kirche, in die sie
nicht mehr ging, für immer verließ. Selbstverständlich konnte es
passieren, daß die Polizei am Busbahnhof auf sie wartete, der
Fremde sie des Diebstahls beschuldigte usw. usw. Aber
mittlerweile war sie soweit, daß sie jedes Risiko in Kauf nahm.
Der Haß, den sie noch eine halbe Stunde zuvor empfunden
hatte, war einem sehr viel angenehmeren Gefühl gewichen:
Rache.
Irgendwie freute sie sich, daß ausgerechnet sie die ändern mit
dem Bösen konfrontierte, das auf dem Grund ihrer naiven und
scheinbar gütigen Seelen verborgen war. Alle stellten sich vor,
ein Verbrechen zu begehen - sie stellten es sich nur vor, denn
tun würden sie es niemals. Und dann würden sie sich für den
Rest ihres armseligen Lebens vormachen, sie seien eben
unfähig gewesen, Unrecht zu tun, weil schließlich der gute Ruf
ihres Dorfes davon abhing; im Grunde ihres Herzens aber
wüßten sie ganz genau, daß nur die Furcht sie davon
abgehalten hatte, einen Unschuldigen zu töten. Und dann
würden sie sich allmorgendlich beim Aufstehen selber auf die
Schultern klopfen, weil sie ihre Integrität bewahrt hatten, und
sich nachts mit Selbstvorwürfen quälen, weil sie die Chance
nicht genutzt hatten.
In den nächsten drei Monaten würde das einzige Thema in der
Bar die Ehrlichkeit der großherzigen Dorfbewohner sein.
Anschließend, wenn die Jagdsaison eröffnet wurde, würden sie
eine Zeitlang das Thema nicht ansprechen, denn die Fremden
brauchten nichts davon zu erfahren; sie sollten weiterhin das
Gefühl haben dürfen, in Bescos einen paradiesischen Ort
gefunden zu haben, wo alle Freunde waren, wo stets das Gute
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herrschte, wo die Natur großzügig war und selbst die
Naturprodukte in dem kleinen »Lädchen« von dieser
selbstlosen Liebe durchdrungen waren.
Aber die Jagdsaison würde zu Ende gehen, und sie wären
wieder frei, ihre Gedanken weiterzuspinnen. Nachdem sie
nächtelang dem verlorenen Geld nachgeweint hätten, würden
sie sich die möglichen Szenarien genauer ausmalen - anfangs
verschämt, dann reuig und voller Wut: Warum hatte niemand
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