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noch schwach.
Plötzlich knallte es zweimal laut, wie Schüsse, und ich sah,
wie zwei Röhrchen in den Hof fielen, aus denen dichter weißer
Rauch quoll, der sich schnell verbreitete und im Gesicht und
auf der Haut brannte, die Tränen schossen uns in die Augen.
Halb blind und hustend flüchteten wir uns in die Baracken,
doch der beißende Rauch war überall. Wir rannten in die Was-
chräume und hielten die Köpfe unters Wasser.
Als sich der Rauch langsam verzog, bedeckten wir unsere
Gesichter mit feuchten Handtüchern. Doch auch das half nicht
viel, meine Augen waren zwei Tage lang rot und geschwollen.
Eine Stunde später kamen die Wärter zurück, eskortiert von
den Polizisten. Es war vorbei.
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Nur der ätzende Gestank in der Luft blieb noch eine Weile,
gegen Abend war auch er verschwunden.
Sie taten uns nichts, niemand wurde bestraft.
Niedergeschlagen bauten wir die ramponierten Betten
wieder zusammen, brachten die durchnässten Matratzen und
rauchgeschwärzten Kissen in die Schlafsäle zurück und überzo-
gen unsere Betten mit den Papierlaken.
Irgendwie mussten wir ja schlafen, auch wenn alles feucht
war.
Abends im Speisesaal war der Aufstand kein Thema mehr. Er
war genauso schnell zu Ende gegangen, wie er begonnen hatte.
Wir kehrten zum Alltag zurück, Langeweile und
Trostlosigkeit machten sich breit.
Zwei Tage später verrieten mir zwei ausgemergelte Eritreer,
dass es gar nicht so schwer sei, aus dem Lager zu fliehen. An
einer Stelle könne man leicht an der Mauer hochklettern, und
den Wärtern sei es sowieso egal.
Sie sagten auch, es gäbe Schleuser mit Booten unten am
Hafen, die uns nach Talien bringen würden, ins richtige Talien.
In diesem großen Land würde man uns nicht mehr finden, dort
könnten wir für immer bleiben.
»Ich habe kein Geld«, antwortete ich.
Sie erklärten mir, dass diese Typen gar kein Geld wollten. Sie
würden einem sogar eine Arbeit in Talien verschaffen, da
wären Leute, die würden schon auf uns warten, und die Reise
könnten wir später bezahlen, mit unserer Arbeit.
Erzählten sie mir das, weil ich ihnen sympathisch war oder
weil ich noch naiver wirkte als die anderen? Ich weiß es nicht.
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Aber ich bin sicher, dass der Hai dabei eine Rolle spielte, der
auch hier seine blutige Arbeit fortsetzte.
Ich antwortete, dass ich nur noch zurück nach Hause wollte,
sonst nichts.
»Pech für dich.« Damit war für sie das Gespräch beendet.
Heimlich schlich ich ihnen nach und sah, wie die beiden ge-
meinsam mit drei anderen Männern über die Mauer kletterten,
sie hatten sie offensichtlich überzeugen können. Ich wartete
eine halbe Stunde, dann folgte ich ihnen.
Es war wirklich nicht schwer.
Ich ging langsam am grasbewachsenen Straßenrand entlang
in Richtung Dorf und atmete tief die frische würzige Luft ein,
die von den nahen Hügeln herabwehte. Nur vereinzelte
Laternen spendeten ein schwaches Licht. Es war kurz vor Mit-
ternacht und vollkommen windstill.
Auch das Dorf schlief, alles war still, nur ab und zu hörte
man Hundegebell, das sich von Hof zu Hof fortsetzte. In eini-
gen Häusern, die sich an die dunklen Hügel krallten, brannte
noch Licht oder man sah das bläuliche Flackern eines
laufenden Fernsehers.
Ich erreichte den großen Platz. Die Cafés waren geschlossen,
die Tische und Stühle auf der Terrasse waren mit dünnen
Ketten zusammengebunden und mit einem Vorhängeschloss
gesichert.
Wieder atmete ich tief durch. Der Duft des Meeres vermis-
chte sich mit dem Duft der Hügel, es roch nach Salz, nach
Kräutern, nach Regen und nach Erde.
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Ich war noch nie im alten Teil des Dorfes gewesen, die
Gassen waren eng und schlicht, genau wie bei uns, und ich
fühlte mich zu Hause. Ich stolperte über die krummen Pflaster-
steine, abgenutzt von den Füßen der Menschen und angenagt
vom Zahn der Zeit.
Ich folgte einem Pfad, der hinauf zu den Hügeln führte. Erst
ging es langsam bergan, dann wurde es steiler und enger, links
und rechts wucherten wilde Kräuter und Büsche. Ich stieg im-
mer weiter hinauf, bis ich schließlich die Weinberge erreichte.
An den Weinstöcken hingen nur noch gelbliche, welke Blät-
ter, der Boden war aufgeweicht vom tagelangen Regen. In einer
Furche zwischen den Reben legte ich mich auf den Rücken und
schaute nach oben, der Vollmond leuchtete und die funkelnden
Sterne überzogen den Nachthimmel wie ein riesiger weißer
Schleier. Helles Licht umhüllte mich und bildete einen schar-
fen Kontrast zu den tiefschwarzen Schatten.
Ich dachte an meine Mutter, wie sie um das Lagerfeuer tan-
zte, und wie dabei die kleinen Glöckchen an ihren Fesseln
klimperten. Und ich dachte an meinen Vater, wie er im Mor-
gengrauen vom Boot aus den Mut hatte, die Hand zu heben
und ihr zuzuwinken.
Mein Gott! Wie schwer musste ihm diese einfache Geste ge-
fallen sein!
Ich lächelte.
Und dann dachte ich darüber nach, dass ich doch eigentlich
niemanden stören würde, wenn ich dort bliebe, auf dem Wein-
berg. Ich würde den Himmel ansehen und den Wind auf der
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Haut spüren, die Trauben ernten, wenn es Zeit war, und ich
würde durch nichts den Frieden dieses Ortes gefährden.
Ein dummer Gedanke, ich weiß.
Und ich weiß auch, dass die Menschen das nicht gewollt
hätten.
Allmählich schlief ich ein, versunken im Schoß der Erde.
Das war die schönste Nacht, die ich in Talien verbrachte.
Am nächsten Morgen kehrte ich ins Lager zurück. Niemand
hatte meine Abwesenheit bemerkt, oder zumindest hatte sie
niemanden interessiert.
Drei Tage später brachten sie uns an den Hafen und ließen
uns die Fähre besteigen.
Ich kehrte nach Hause zurück.
Eines war mir klar geworden: Dem Willen der Menschen
würde ich mich nie wieder unterordnen.
Ich sitze vor dem Haus.
Heute Morgen habe ich es gehört: das Brüllen der
Dromedare, im Morgengrauen hatte es der Wind an mein Ohr
geragen. Sie waren noch weit, vor Mittag würden sie nicht da
sein. [ Pobierz całość w formacie PDF ]

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